Der virtuelle Nachbar

Geoinformationssysteme bieten der Immobilienwirtschaft Entscheidungshilfen. Privatleute können schon mal ihr Umfeld begutachten.

Von Sebastian Hepp

Welchen Haustyp finde ich im Stadtviertel meiner Wahl vor? Wie dicht oder aufgelockert ist dort die Bebauung? Ist es eine vielbefahrene oder verkehrsberuhigte Straße, in der sich das von mir favorisierte Haus oder die Wohnung befindet? Und gehören zur Infrastruktur der unmittelbaren Umgebung Läden, Supermärkte, eine Apotheke, Restaurants und Einrichtungen wie Schulen, Kindergärten und Grünflächen? Für Herrn X., der von Hamburg nach München umziehen will und dringend eine Wohnung sucht, sind diese Fragen immens wichtig. Doch wie soll er auf sie eine Antwort finden, wenn ihm selbst für einen Ausflug in die Isar-Metropole die Zeit fehlt?

Die Antwort lautet immer häufiger: mit Hilfe von Geografischen Informationssystemen (GIS) im Internet. Geoinformationen (auch: Geodaten) bezeichnen im Allgemeinen Daten zu Objekten mit direktem (über eine Koordinate) oder indirektem (zum Beispiel über eine Adresse) Bezug zur Erdoberfläche. Geodaten sowie die Soft- und Hardware zu deren Erfassung, Archivierung, Bearbeitung, Analyse und Präsentation haben in den vergangenen Jahren Eingang in verschiedenste Bereiche der Wirtschaft, Wissenschaft und Verwaltung gefunden. Angewendet werden Geodaten und Geoinformationssysteme beispielsweise bei Navigationssystemen, Planern, Energieversorgern, Versicherungen, im Marketing, in der Landwirtschaft und inzwischen auch in der Immobilienwirtschaft. Wissenschaftliche Grundlage für all diese Nutzungsmöglichkeiten ist die Geodäsie. Ihre Aufgabe ist es, den Lebensraum der Menschen durch Vermessungen zu erfassen, Geoinformationen zu verarbeiten und aufgabenbezogen darzustellen. Geodäten beschreiben, ordnen und registrieren den Lebensraum nach bestimmten Merkmalen und wirken an seiner Gestaltung und Veränderung mit.

„Etwa 80 Prozent aller Daten, die es gibt, weisen einen Raumbezug auf und lassen sich in Geoinformationssysteme integrieren“, sagt Andreas Donaubauer vom Fachgebiet Geoinformationssysteme an der TU München. Im Geokodieren – also der Umwandlung von Adressen oder Postleitzahlen in Koordinaten – liege der „große Mehrwert“ von GIS, sagt Donaubauer. Neben klassischen Messwerkzeugen benutzen Geodäten Informationssysteme, moderne Satellitentechnologie, digitale Fernerkundungssensoren und entwickeln automatische, computergestützte Verfahren zur Erfassung, Verarbeitung, Analyse und Visualisierung raumbezogener Information. Für die Immobilienwirtschaft interessante Teilbereiche der Geodäsie sind laut Donaubauer unter anderem das Landmanagement (es beinhaltet rechtliche Fragestellungen wie zum Beispiel das Grundstücks- und das Grundbuchrecht, die Flurbereinigung und die Immobilienbewertung), die Katastervermessung (etwa bei der Teilung von Grundstücken, der Baulanderschließung und der Baulandentwicklung) sowie die Geoinformationssysteme. „Unter GIS fällt alles, was man auf der Karte im Internet sieht, wie zum Beispiel die genaue Lage eines bestimmten Objekts oder die nächstgelegene S-Bahn-Station“, erläutert Donaubauer. „Die Firma Google hat sich darauf spezialisiert, besonders interessante und hoch auflösende Daten wie etwa Luftbildaufnahmen von Straßenzügen oder Daten über Autobahnnetze weltweit aufzukaufen“, fügt der promovierte Geodät hinzu. Mit Google Earth habe sie die Welt der Geodäsie und GPS (satellitengestützte Navigationssysteme) dann „ziemlich revolutioniert“. Nicht die Technik sei das eigentlich Neue, sondern der öffentliche Zugang zu einer weltweiten Geo-Datensammlung. So ermögliche Google Earth den Nutzern zum einen eine „private Spielerei“ wie das Heran-Zoomen des eigenen Wohnumfeldes. Darüber hinaus könnten sie sich zum Beispiel vor einem Hauskauf wichtige Informationen über das nähere Umfeld des in Frage kommenden Objektes beschaffen. Und die Immobilienbranche nutze Google Earth oder den Dienst Virtual Earth von Microsoft inzwischen zu kommerziellen Zwecken – so zum Beispiel Agenturen, Makler oder Berater, die eine Auflistung der noch zu habenden Miet- und Kaufobjekte an einem bestimmten Standort als Serviceleistung ins Netz einstellen. Wie viele Stockwerke ein Gebäude hat, ob das betreffende Objekt in einem Wasserschutz- oder Überschwemmungsgebiet liegt oder wo sich die nächste Autobahnausfahrt befindet, lässt sich in den digitalen Globen ebenfalls gut darstellen – „weil die Daten einen Raumbezug haben“, wie Donaubauer hinzufügt. Gleichwohl basiere Google Earth auf einem anderen System als die Geoinformationssysteme, die übers Internet noch mehr Serviceleistungen anbieten könnten. Je nach Bedarf des jeweiligen Kunden sind im Bereich der GIS viele Lösungen (auch Kombinationsmodelle mit den digitalen Globen) möglich. Die Süddeutsche Zeitung beispielsweise unterlegt ihr Immobilienangebot im Internet – unter www.sueddeutsche.de – mit dem Kartendienst von Virtual Earth. Dieser Dienst bietet den sogenannten birds-eye-view an, mit dessen Hilfe man ein Objekt aus der Vogelperspektive von allen vier Seiten betrachten kann. Mit den digitalen Karten verlinkt wurde das Angebot an Bars, Restaurants, Krankenhäusern, Apotheken, Kindergärten und Gemeindeeinrichtungen im betreffenden Stadtviertel.

Es gibt auch Anwendungen, die Unternehmen dabei unterstützen, Immobilienbewertungen plausibler aufzubereiten und über Schnittstellen in die jeweiligen Unternehmensprozesse – an SAP oder an andere Applikationen – weiterzugeben. In erster Linie fondsgebundene Immobilienverwalter bedienen sich gern derartiger Produkte, um ihren Immobilienbesitz eindeutiger und besser verständlich zu machen. Die Lage ist auch hier der für den Marktwert und die Nutzungschancen eines Objektes ausschlaggebende Parameter. „Nur eine georeferenzierte Lösung ist der Herausforderung gewachsen, wie sie das effiziente Management der Immobilien in ihrer heterogenen Struktur, ihrer großen Zahl und ihrer dezentralen Verwaltung darstellt“, sagte Olaf Freier, Projektleiter der Intergeo 2006, in einem Interview mit der Immobilien Zeitung. Gerade erst ermittelte Informationen über die Lage eines Objektes ließen sich direkt und unmittelbar an die jeweils genutzte CAD-Planungssoftware weitergeben. Mit Lösungen der nächsten Größenordnung könne man dann Standort- oder Objektanalysen vornehmen. Hierbei könnten mit Hilfe eines GIS unterschiedliche Infrastrukturdaten in digitalen Karten visualisiert werden. Beispielsweise lasse sich so die Kaufkraft der jeweiligen Region darstellen. Gezeigt werden könne schlicht alles, was für potentielle Käufer interessant sei. Lebensmittelketten zum Beispiel nutzten die Systeme unter anderem, um zu erfahren, in welcher baulichen Infrastruktur sich ein potentiell als Geschäftssitz interessantes Gebäude befindet. Auf diese Weise lasse sich die Frage, ob sich die Eröffnung eines neuen Ladens in einer bestimmten Umgebung lohnt oder nicht, leichter beantworten. Auch der Wettbewerber und seine verschiedenen Niederlassungen könnten mit Hilfe einer solchen Lösung grafisch dargestellt werden. Der klassische Anbieter von Geo-Daten kommt oft aus dem Bereich der öffentlichen Verwaltung. Eine Kontakt-Plattform, auf der Informationen bereitgestellt werden, ist für einen professionellen Auftritt meist schon Standard. Viele Städte denken inzwischen dreidimensional. Webbasierte 3-D-Stadtinformationssysteme erleichtern Einheimischen wie Gästen die Orientierung in der City, Immobilienbesitzern und -Vermarktern die Akquise und potentiellen Kunden die Suche nach dem geeigneten Objekt. Dieses kann am Computer dreidimensional begutachtet werden, ohne sofort eine Ortsbegehung anberaumen zu müssen. Bei virtuellen Streifzügen kann man das System beispielsweise danach befragen, aus welchem Fenster des Gebäudes man freie Sicht auf die Wiese hat oder wie Wände, Dächer oder Eingangsbereiche beschaffen sind.

Zusammenfassend lässt sich sagen: GIS-Lösungen dienen der Immobilienwirtschaft als Hilfsmittel, um das Tagesgeschäft zu vereinfachen, zusätzliche Informationen zu generieren und Kunden und Interessenten gegenüber kompetenter aufzutreten.

Quelle sueddeutsche.de

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